CSD Berlin: Mit dem Kopf durch die "Stonewall"

Liebe BerlinBear-Follower,

an dieser Stelle wollte ich eigentlich gerne über die geplanten Neuerungen beim Berliner CSD berichten, die auf dem CSD-Forum am 26.02.2014 vorgestellt werden sollten.
Da aber auf diesem Forum weniger Informationen als vielmehr Befindlichkeiten ausgetauscht wurden, werde ich an dieser Stelle eher ein Blick auf die Befindlichkeiten der Berliner Community und die des CSD e.V. zuzüglich des Geschäftsführers werfen.

Worum geht es eigentlich?

Vor einigen Wochen drang an die Presse eine nicht näher differenzierte Meldung, nach dem der Berliner CSD in „Stonewall Parade“ umbenannt werden soll. Darüber entbrannte ein heftiger Streit in der Community, hauptsächlich über die sozialen Medien, aber auch über die Lokal- und Szenepresse.

Das Problem dabei war, dass es kaum Informationen gab, über die man konstruktiv und abwägend diskutieren konnte. Trotzdem oder gerade deswegen bekam diese Diskussion eine nicht für möglich gehaltene Dynamik, die alle Beteiligten offensichtlich überforderte.

Das Kind war in den Brunnen gefallen und das CSD Forum, eigentlich als ergänzendes basisdemokratisches Instrument für die politische Arbeit des CSD e.V. gedacht, sollte die Situation entschärfen.

Wenn allerdings ein „Schlachtfeld“ voller „Tretminen“ ist (man verzeihe mir diesen martialischen Vergleich), dann ist es quasi unmöglich, ohne „Explosionen“ dieses Feld zu überqueren.

Und so kam es, wie es kommen musste. Eigentlich als Infoveranstaltung geplant, wurde dieser Abend ein Fiasko im tragischen Sinne.
Viele der ca. 130 Teilnehmer, kamen mit expliziten Erwartungen, wie auch vorgefertigten Meinungen zum Forum und wollten diese auch platzieren. Die Anwesenden kamen aus allen Bereichen des queergesellschaftlichen Lebens; von gemeinnützigen Vereinen, vom LSVD, DGB, ver.di, Journalisten und Blogger und auch sehr viele interessierte Privatpersonen.

Auf der Seite des einladenden CSD e.V. war der 5köpfige Vorstand, sowie der Geschäftsführer Robert Kastl. Die Veranstaltung begann mit einer quasi investigativen, sehr ins Detail gehenden Präsentation mit Namen „Berlin im Sumpf“, die belegen sollte, dass man sich von Seiten der Berliner Politik seit Jahren insbesondere finanziell benachteiligt fühlen darf, während andere Veranstalter scheinbar bevorzugt wurden - durchaus brisant, aber für den Großteil des Publikums uninteressant, da man sich auf ein anderes Thema eingestellt hatte. Außerdem wurde genau diese Präsentation schon auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Vormittag der Lokalpresse vorgestellt, auf der anscheinend explizit die „Homopresse“(Originalzitat) nicht eingeladen war, insbesondere nicht die Siegessäule, die man durchaus als relevante Presse bezeichnen kann. An dieser Stelle anstand der erste Tumult durch aufbrausende, sich benachteiligt gefühlte Journalisten und Blogger.

Auch wurden in dieser Präsentation Politiker, die sich in den letzten Jahren sehr wohlwollend und unterstützend für den Berliner CSD eingesetzt haben, als Kriminelle dargestellt, was weiteren lauten Unmut erzeugte.

Im Anschluss begann die Diskussion, die zuerst auch noch in geordneten Bahnen verlief. Jeder Teilnehmer hatte eine Karte mit einer Nummer bekommen und konnte sich somit bemerkbar machen, wenn man sich mit einer Frage oder einem Redebeitrag einbringen wollte.

Die Fragen waren erwartungsgemäß kritischer Natur, leider wurde auch mit Unterstellungen gearbeitet und bewegten sich hauptsächlich in Richtung der wirtschaftlichen Interessen der Protagonisten. Die Sachebene wurde an fast keinem Punkt erreicht.

Der Vorstand und der Geschäftsführer agierten zunehmend unsouverän, und die Veranstaltung entglitt Ihnen zusehends. Wo Deeskalation angebracht gewesen wäre, wurde gemauert, bzw. weiteres Öl ins Feuer gegossen.

Insbesondere Robert Kastl, der sich von der Politik verfolgt sieht, kündigte an, mit aller Schärfe weiter zu kämpfen; mit dem Bezirksamt Mitte (welches für die Genehmigungen der Strecke und der Abschlussveranstaltung zuständig ist), würde man seit einiger Zeit sowieso schon nur noch per Anwalt reden. Und man rechne nicht mit einer Normalisierung.

In der Tat rechnet jetzt tatsächlich niemand mehr damit, denn es wurde bekannt gegeben, dass der Verein Strafanzeige gegen den zuständigen Stadtrat Spallek (CDU) gestellt hat, wegen der eingangs angesprochenen „Sumpf“-Vorwürfe. Ob es nun klug ist, die Leute zu verklagen, auf deren Wohlwollen man auch irgendwie angewiesen ist, möchte ich an dieser Stelle nicht beurteilen.

Man hat aber einen Eindruck davon bekommen, wie es dazu kommen konnte, dass sich quasi die gesamte Berliner Politik gegen den CSD e.V. stellen konnte.

Die Vereinsführung ließ jedenfalls nicht erkennen, dass man bereit sei, das Gespräch zu suchen. Man werde an seinen Forderungen festhalten, notfalls mit juristischen Mitteln und über die Medien.

Nach 2 Stunden wurde dann endlich auch über „Stonewall“ gesprochen. Unter lautem Protest einiger Weniger wurde eine weitere PowerPoint-Präsentation gezeigt, deren inhaltlicher Ansatz durchaus als gute Diskussionsgrundlage geeignet gewesen wäre, hätte man nicht auch gleich dazu gesagt, dass eine Diskussion nicht gewünscht ist, denn es wäre beschlossene Sache.

Man verwies auf einen Beschluss der Mitgliederversammlung, auf der mit einer Mehrheit von 97% der Vorschlag (insbesondere die Umbenennung in „Stonewall“) angenommen wurde, und man werde diesen Beschluss auch gegen den Willen der Community durchsetzen.

Wie nicht anders zu erwarten, wurde die Veranstaltung zusehends zur Farce, und viele hielten ihren Unmut über diese Aussagen nicht länger zurück. Nach mehreren bohrenden Nachfragen, wie dieser Beschluss zustande kam und mit welcher Legitimation man eigentlich gegen die Community in dieser Art agieren könne, kamen einige interessante Fakten ans Tageslicht: Der CSD e.V. hat derzeit 97 Mitglieder. Davon haben auf der Mitgliederversammlung 40 Personen abgestimmt. Davon 33 dafür, einer dagegen und der Rest hat sich enthalten. Die Enthaltungen hat man als Zustimmung gewertet, insbesondere weil dies eine Tischvorlage war, die innerhalb von 15 Minuten abgenickt werden sollte. So kommt man auch auf 97%, obwohl gerade mal 35% der Mitglieder den Antrag mitgetragen haben.

Mit Fortschreiten des Abends wurden die Rufe nach einem Meinungsbild des Forums immer deutlicher und man schlug eine Abstimmung vor, inwieweit das Forum das sogenannte Projekt „Stonewall 2019“ mittragen würde. Dies wurde vom Vorstand trotz einer Beratungsunterbrechung zurückgewiesen mit den harschen Worten „Wir sind der CSD e.V., wir entscheiden und Ihr seid nicht die Community!“ Das war der Punkt des Abends, an dem klar wurde, dass eine sinnvolle Kommunikation zumindest kurzfristig nicht mehr möglich war. Daraufhin entzog ein Mitglied des Forums dem Verein die Gesprächsleitung und ließ sich dies von den anderen Anwesenden abnicken.

Die Vorstandsmitglieder, sowie Robert Kastl verließen den Raum. In deren Abwesenheit wurde vom Forum in großer Mehrzahl beschlossen, dass man den CSD e.V. auffordert, die Umbenennung auszusetzen, und sich ein erneutes Votum der Mitgliederversammlung einzuholen.

Weitere wichtige Punkte wie Streckenführung und Abschlussveranstaltung konnten somit auch nicht mehr besprochen werden.

An diesem Abend gab es nur Verlierer, insbesondere die Glaubwürdigkeit der Community hat stark gelitten. Wie es ein Besucher an dem Abend so treffend sagte: „Es gibt Uganda, es gibt Russland und Arizona, und worüber sprechen wir eigentlich hier?“

 

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